Lydia und Magnus Poser – außergewöhnliche Geschichte, Standard-Aufarbeitung

Den folgenden Artikel haben wir in der Ausgabe #12 vom Januar 2018 des Anarcho Infoblatts Jena veröffentlicht. In den nächsten Monaten soll es dann mit Wanderungen weitergehen.

Die Wandergruppe der FAU Jena

Mit der Wandergruppe der FAU Jena haben wir im Herbst zweimal eine Wander­ung zum Thema Militaris­mus durchgeführt und dabei unter anderem das Mahnmal auf dem Nordfriedhof, das an Magnus Poser erin­nert, besucht. Mit der Geschich­te von Magnus Poser und seiner per­sön­lichen und politischen Weg­ge­fährtin Lydia Poser soll sich die­ser Artikel beschäftigen – einmal, weil es sich um ein Stück Jenaer anti­faschistischer Geschichte han­delt, aber auch, weil die Geschichte der Posers in vielerlei Hinsicht ein Lehrstück in Sachen Umgang mit der Vergangenheit darstellt.

Magnus Poser wird 1907 in Jena ge­boren. Er engagiert sich im Kom­mu­nistischen Jugendverband Deutsch­lands (KJVD)¹ bei den Na­tur­­freunden und im Freiden­ker­verband, aber erst eine mehr­mo­na­tige Reise in die Sowjetunion verändert sein politisches Bewusst­sein nachhaltig, sodass er 1928 in die KPD eintritt. Im November 1930 wird er wegen Landfriedensbruchs zu drei Monaten Gefängnis verur­teilt, nachdem mehrere Anti­fa­schis­ten einer Versammlung der Hitler­jugend im damaligen Hotel „Stern“ in der Neugasse einen Besuch abstatten und nach der an­schlie­ßen­den Schlägerei verhaftet wer­den. Nach der Machtübergabe an die Nazis schließt sich Poser einer Widerstandsgruppe an. Vom Dienst in der Wehrmacht wird er zunächst ausgeschlossen, später rettet ihn eine vorgetäuschte Knieverletzung vor der Einberufung.

Lydia Poser wird 1909 in Heiders­bach im Thüringer Wald geboren und ist schon in frühster Jugend politisch aktiv. Mit 15 wird sie Mit­glied im KJVD, mit 16 arbeitet sie als Stenotypistin für die KPD in Jena, mit 18 macht sie ihre erste Bekanntschaft mit der Polizei, als sie beim Plakate-Kleben erwischt wird. 1927 wird sie Vorsitzende der Ortsgruppe des Jugendverbandes, wandert im selben Jahr aber auch allein durch den Schwarzwald – beides damals als junge Frau eine Seltenheit. Mit 22 Jahren arbeitet sie im in Erfurt eingerichteten ille­galen Büro der Bezirksleitung der KPD.

Im März 1933 fordert Lydia Poser Magnus Poser zur Mitarbeit in der illegalen Parteileitung auf. Er über­nimmt die Verantwortung für die Bereiche Agitation, Propaganda und Sicherheitsfragen, später für illegal vorhandene Waffen. Letztere wer­den an verschiedenen Stellen in Jena gelagert, unter anderem auch in der mittlerweile gemeinsamen Woh­nung der Posers, auch, als die­se später ein Kind zusam­men ha­ben. Im November 1933 werden er und Lydia Poser erneut verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu über zwei Jahren Monaten Haft verurteilt, wel­che er in Ichtershausen und sie in Grä­fen­tonna und Hohenleuben ver­büßt – nach einer Zwischen­sta­tion im KZ Bad Sulza, das im Ok­tober 1933 eingerichtet wird und damit nach Nohra das zweite in Thüringen ist, bevor das KZ Buchen­wald entsteht.

Nach der Entlassung aus den Ge­fäng­nissen heiraten beide im September 1936, zwei Jahre später kommt ihre Tochter Ruth zur Welt. Trotz polizeilicher Überwachung wird mit dem Aufbau einer neuen Widerstandsorganisation begon­nen, die bis 1941 auf etwa 30 Personen anwächst. Es entstehen diverse un­ab­hängige Zellen; Verbindungen gibt es unter an­de­rem nach Bürgel, Eisenberg und Hermsdorf. Im Zen­trum der Arbeit stehen zunächst we­niger Aktionen, sondern der Auf­bau einer hand­lungsfähigen Orga­ni­sation.

Silvester 1941 treffen sich die Posers mit Theodor Neubauer und beide Widerstandsgruppen ver­ei­ni­gen sich.² Von da an gehört Mag­nus Poser zu den führenden Mit­gliedern einer in Thüringen weit verzweigten Widerstands­orga­ni­sa­tion, die Verbindungen zum KPD-Wi­der­stand in Leipzig, nach Ham­burg, Magdeburg und Berlin, aber auch zur Gruppe um Stauf­fen­berg und zum Kreisauer Kreis hat. Die Rolle Lydia Posers wird in der spärlich vorhandenen Literatur nur ansatzweise beschrieben. Zellen der Widerstandsorganisation gibt es in allen Jenaer Stadtteilen sowie bei diversen Betrieben, darunter bei Zeiss, Schott und RAW (das Reichsbahnausbesserungswerk, ab Herbst 1944 Außenlager von Buchen­wald, aber das ist eine andere Geschichte). Politische Ziele der Gruppe sind die „Ausrottung des Faschismus“, die Verurteilung der Kriegsverbrecher und die Herstellung demokratischer Rechte und Freiheiten in einem „neuen Deutschland“ mit einer „Regierung des werktätigen Volkes“. Konkret unterstützt die Gruppe unter an­derem Zwangsarbeiter*innen mit Lebensmitteln, sammelt Nach­richten über die Frontlage und organisiert Sabotageakte in Rüs­tungs­betrieben. Mit Hilfe eines Vervielfältigungsapparates werden Flugblätter verbreitet, die auf Rus­sisch und Französisch auch an Kriegs­gefangene und Zwang­sar­bei­ter*innen weitergegeben wer­den. Sie werden jeweils in der Stückzahl von 500 bis 1500 Exem­plaren verteilt, einige Exemplare gelangen bis ins KZ Buchenwald. Be­legt ist eine Antwort von dort auf den „Brief an die gefangenen Rot­­armis­ten, Ostarbeiter und Ost­ar­beiter­in­nen“, der von der Gruppe in russischer Sprache geschrieben und verteilt wurde.

Im Juli 1944 werden Magnus und Lydia Poser verhaftet. Lydia Poser kommt nach zwei Tagen wieder frei und kann alle Verbindungsleute zu den Gruppen in Thüringen warnen. Magnus Poser wird bei einem Flucht­versuch angeschossen und schwer verletzt aufgegriffen. Die Gesta­po bringt ihn ins Kranken­re­vier des KZ Buchenwald und beginnt, ihn zu verhören. Er wird ope­riert, verstirbt aber an seinen Ver­letzungen. Um über den Tod Magnus Posers informiert zu wer­den, wird Lydia Poser zur Kriminal­polizei bestellt. Ihre Erinnerungen zeigen, wie die Posers versuchen, Eltern­schaft und Widerstand mit­ei­nan­der zu vereinbaren: „Dieses Mal habe ich meine Tasche gepackt mit allen Utensilien, die ich eventuell in Haft benötige. Ich bat meine Schwiegermutter und Vati so lange meine Tochter zu meinen Eltern zu bringen für den Fall, dass ich nicht wiederkommen sollte.“³

Nach ihrer Entlassung arbeitet Lydia Poser als Stenotypistin, von 1946 bis 1948 ist sie Bürger­meis­te­rin von Jena. Wie ihre Tochter ver­mutet, spricht sie aufgrund der Trau­matisierung durch die Ereig­nisse nie vom Geschehenen; es gibt lediglich einige Auf­zeich­nung­en von ihr, die sehr lesenswert sind (siehe Li­te­ra­tur­hinweise). Vor­han­dene Pu­bl­ika­tionen, auch jene der gemein­samen Tochter Ruth Bah­mann be­zie­hen sich fast aus­schließ­lich auf Magnus Poser. Dass Lydia Posers Geschichte für die damalige Zeit eine sehr besondere ist, wird weder in der DDR noch danach gewürdigt. Mag­nus Poser hingegen wird zu DDR-Zeiten eine Heldenrolle zugedacht. Das Poser-Mahnmal auf dem Nord­fried­hof trägt die Inschrift „Ruhm und Ehre den Helden des anti­fa­schistischen Widerstands­kamp­­fes“, vor ihr steht die Büste Magnus Po­sers; Lydia Poser findet keine Erwäh­nung. Zur bis in die späten 90er Jahre exis­tie­ren­den Magnus-Po­ser-Gedenkstätte im Wohnhaus sei­ner Eltern in der Karl-Liebknecht-Straße 55 schreibt die „The future is unwritten“ (eine unserer Vor­gän­ger­publikationen) Nr. 14 vom Mai/Juni 2000: „Auch diese Gedenk­stät­te befand sich in Jena-Ost; der „Fehler“ von Poser ist der, daß er kein bürgerlicher Wider­ständler war – und außerdem will die Stadt das Haus verkaufen und hat deshalb die Gedenkstätte von der Denk­mals­liste streichen lassen. Das Haus in der Karl-Liebknecht-Straße 55 steht für 160.000,- DM zum Verkauf. Da können sich die FaschistInnen über die Schüt­zen­hilfe von CDU/SPD usw. nur freuen!“ Die frühere Poly­tech­ni­sche Ober­schule Magnus Poser in Jena-Nord ist und heißt nun Monte­sso­ri-Schule. Die Magnus-Poser-Stra­ße blieb erhalten, eine Lydia-Po­ser-Straße hat es in Jena nie ge­ge­ben.

Und eine letzte Bemerkung: Jenaer Anarchist*innen, die 1933 bis 1945 aktiv Widerstand geleistet haben, sind uns leider nichts bekannt, was uns einmal mehr verdeutlicht, dass wir unsere eigene Geschichts­schrei­­bung brauchen. Über sach­dienliche Hinweise freut sich die Wan­der­gruppe der FAU Jena, er­reich­­bar unter: fauj-wandern@fau.org.
Bis dahin erzäh­len wir uns wenigs­tens die Held*­innengeschichten der Ande­ren.

 

Fußnoten

(1) Kleine Randnotiz zum KJVD aus dem Buch der Tochter der Posers über ihren Vater: „Die Jugendlichen wurden vorbereitet, selbst Mitglieder der KPD zu werden. Aber die Diskussionen im Verband gingen auch um Fragen: Wie stehe ich zu Alkohol und Nikotin? Welche Stellung nehme ich zum Tanzboden ein? Solche Fragen wurden z.T. zu eng betrachtet und dadurch wurde nicht immer eine volle Klärung erreicht.“ (Bahmann, Ruth: Magnus Poser. Lebensbild eines Kommunisten, Jena 1981, S.23).

(2) Vermittelt hatte das Treffen Annegret Wölk – Lebenspartnerin und Genossin des im Novem­ber 1944 hingerichteten Kommunisten Emil Wölk, bekannt von der Emil-Wölk-Straße in Lobeda. An sie erinnert in Jena nichts.

(3) Poser, Lydia: Einiges aus meinem Leben, S.218-242 in: Amlacher, Cornelia u.a.: Anpassung, Verfolgung, Widerstand. Frauen in Jena 1933 – 1945, Jena 2007, S.240.

 

Weiterführende Literatur

Poser, Lydia: Einiges aus meinem Leben in: Amlacher, Cornelia u.a.: Anpassung, Verfolgung, Widerstand. Frauen in Jena 1933 – 1945, Jena 2007, S.218-242.

Bahmann, Ruth: Magnus Poser. Lebensbild eines Kommunisten, Jena 1981.

Schilling, Willy: Im Widerstand: Magnus Poser in: Gelebte Ideen. Sozialisten in Thüringen. Biografische Skizzen. Jena 2006. S.331 – 341.
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Frankfurt 2003.

[ssba]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert