In der aktuellen Ausgabe der Monatszeitung Analyse & Kritik (Nr. 634) ist ein Artikel von uns über unsere Auseinandersetzungen mit der Universität Jena erschienen. Die ausführliche Version – in der Zeitung ist der Artikel leicht gekürzt erschienen – möchten wir euch hiermit auch zur Verfügung stellen.
Uni Jena auf Tarifflucht: Studentische Mitarbeiter_innen kämpfen gemeinsam mit der FAU um ihre Arbeitsbedingungen
Sich in einem prekären Arbeitsverhältnis alleine zu fühlen, ist bedrückend. An der Uni geht es vielen Student*innen so: um über die Runden zu kommen, sind sie häufig auf schlecht bezahlte Jobs angewiesen. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) hat sich eine Gruppe Student*innen zusammengetan, um an diesen Zuständen etwas zu ändern. Sie sind in der Bildungssektion der Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union (FAU) Jena organisiert. Die (Haupt-)Gegnerin im Arbeitskampf: die FSU und ihre Institutionen.
Der Fall Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB)
In der Bibliothek der FSU wurden studentische Mitarbeiter*innen (StuMi) mit fadenscheiniger Begründung aus dem Tarifvertrag ausgeschlossen, der unter anderem eine bessere Entlohnung bedeutet hätte. „Wir stauben dort Bücher ab, aber die Arbeit gilt der Uni anscheinend als ‚wissenschaftlich‘, schließlich ist dies die einzig legale Begründung des Ausschlusses vom Tarifvertrag der Länder“, so Sven, ein StuMi in der ThULB. Einigen Mitarbeiter*innen wurde bewusst, dass die Rechtmäßigkeit dieser Arbeitsbedingungen zweifelhaft ist. Sven erinnert sich, dass er durch eine Flyeraktion der FAU aufgeklärt wurde. Leider war es schwer, bei den studentischen Kolleg*innen Mitkämpfer*innen zu finden. „Wir haben gewerkschaftliche Informationsveranstaltungen durchgeführt, mit Kolleg*innen gesprochen und ihnen Unterstützung angeboten. Das war echt schwierig. Durch die Befristung hatten sie Angst, ihre Arbeit zu verlieren, indem ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert wird oder sie sogar nie wieder an der Uni arbeiten können. Viele denken, so ein Gerichtsweg sei aufwändig und zudem zieht er sich in die Länge, weil die Uni die Forderungen stets ignorierte.“
Ganz unberechtigt sind die Sorgen von Svens Kolleg*innen nicht. Tatsächlich ging die ThULB nicht auf die Aktionen der FAU ein, bis sie vor Gericht gezogen wurde. Allerdings gab es im Verlauf des Konflikts auch Lichtblicke. Er habe infolge seiner Klage Sorge vor Benachteiligungen gehabt, z.B. schlechte Schichten zu bekommen, aber seine direkte Vorgesetzte sei ihm gegenüber immer fair gewesen.
Das Resultat der gerichtlichen Verhandlung der FAU gegen die ThULB ist ambivalent. Einerseits hat die Uni gleichzeitig mehrere tariflich gebundene halbe Stellen geschaffen, also die Arbeitsverhältnisse der studentischen Bibliotheksaushilfen deutlich verbessert, andererseits wurden zunächst sämtliche Verträge der StuMis nicht verlängert, weil die ThULB nun einen Teil der fragwürdigen Hilfskraftverträge gegen fragwürdige Verträge als Saisonarbeiter*innen austauscht. Von den Verantwortlichen in der ThULB wurde die Schuld dafür auf das Verhalten der FAU geschoben.
„Was die Uni hier macht, ist Tarifflucht“ (Anna)
Diese Zustände beschränken sich an der FSU keineswegs auf die ThULB. Als wissenschaftliche Hilfskräfte werden beispielsweise auch Aufsichtspersonen im Methodenlabor des Soziologieinstitutes und Unkrautjäter*innen auf den Versuchsflächen des Biologieinstitutes angestellt. Deutschlandweit ist diese Behandlung StuMis leider auch keine Ausnahme: Kolleg*innen an den Universitätsbibliotheken Leipzig und Bremen berichteten uns, dass bei ihnen die Situation dieselbe sei.
Die großen Gewerkschaften haben in ihren Verhandlungen mit den Bundesländern zugestimmt, dass StuMis, die einer wissenschaftlichen Tätigkeit nachgehen, vom Tarifvertrag ausgenommen werden. Schon diesen Beschluss findet die FAU falsch. Sie fordert, dass der Tarifvertrag für Alle gilt. „Aber“, fügt Anna hinzu, „was die Uni aus diesen fragwürdigen Beschlüssen zwischen DGB und dem Land macht, ist illegal.“
Es ist eine perfide Form der Tarifflucht. Sie findet auf zwei Ebenen statt. Zum einen gibt es den Ausschluss aus dem Tarifvertrag mit wenig überzeugenden Argumenten wie, dass es sich bei solchen Beschäftigungsverhältnissen um eine Form der Weiterbildung handelt. Selbst wenn man StuMis als Quasi-Auszubildende betrachtet, bleibt festzuhalten, dass in Deutschland für viele Auszubildende auch Tarifverträge gelten. Zum anderen wird der existierende Tarifvertrag unterwandert, weil auch StuMis, die keinen Beitrag zu „Forschung und Lehre“ leisten, nicht nach Tarif bezahlt werden. Schon Lengert, Schmeickert und Priebe stellen in ihrer Studie „Studentischen MitarbeiterInnen“ von 2012 fest, „dass 40% der studentischen MitarbeiterInnen für die Erledigung infrastruktureller Aufgaben in Technik und Verwaltung eingesetzt werden, jedoch nur in Ausnahmefällen nach Tarifvertrag angestellt sind.“ (S. 89)
Universitäre Prekarität und unternehmerische Hochschule
Tarifflucht führt neben prekären Arbeitsbedingungen auch zu einer Fragmentierung der Belegschaft in „normale“ Mitarbeiter*innen mit Tarifvertragsanspruch, unbefristeten Arbeitsverträgen und Personalratsvertretung und in StuMis ohne dergleichen. Dieses unternehmerische Agieren bei einer öffentlichen Einrichtung hängt natürlich auch mit dem Umbau der Hochschulen in den letzten 20 Jahren zusammen – obwohl es StuMis nie einfach hatten. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Student*innen stehen in starkem Konkurrenzverhältnis um die attraktiven Uni-Jobs, auf die sie oft angewiesen sind um ihr Studium zu finanzieren. Sie sind dazu wenig gewerkschaftlich organisiert1.
Der letzte Aspekt ist darauf zurückzuführen, dass die Gewerkschaften für StuMis oft nicht präsent sind. Für FAU-Sekretär Tom liegen die Probleme aber tiefer: „Mein Eindruck ist, dass GEW und Ver.di an der Uni Jena eher als Lobbyvereine auftreten. Sie versuchen, die großen Entscheidungen wie die eines studentischen Tarifvertrags mit zu beeinflussen, sind in den kleinen, alltäglichen Klassenkämpfen wie den unbezahlten Überstunden aber nicht präsent. Hier wirst du maximal an die Rechtsabteilung verwiesen. Das liegt sicher daran, dass der Funktionärsapparat der Gewerkschaften eng mit den Unifunktionären und der professoralen Riege verbandelt ist und ein aggressives Vorgehen gegen die Uni scheut.“ Somit fehlen Räume um die Erfahrung zu machen, dass Arbeiter*innen sich gegen konkrete Ausbeutungsverhältnisse zur Wehr setzen können und dass diese Kämpfe gewinnbar sind. Die Bildungssektion der FAU Jena versucht genau hier anzusetzen.
Widerstand gegen diese Zustände
„Wir sind zu einem Sammelbecken all derer studentischen Hilfskräfte und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen geworden, die für sich selbst und für Andere schon jetzt konkrete Forderungen durchsetzen wollen, die keine Scheu haben, sich mit der Uni anzulegen und sie auch zu verklagen und die das selbstbestimmt und gemeinsam machen wollen“, so Tom.
Damit die Strategie der FAU aufgeht, die Kolleg*innen auf gerichtlichem Weg in den Tarifvertrag einzuklagen, ist rechtliche Sachkenntnis wichtig. Hierzu meint Tom: „Mein Eindruck ist, dass die Uni erst versucht hat, unsere Forderungen zu widerlegen. Das ist ihr nicht gelungen. Deswegen hat sie angefangen, individuelle Vergleiche anzubieten. Das ist unbefriedigend, weil sie so strukturelle Verbesserungen vermeiden will. Deswegen nehmen wir gerne Vergleiche an und sichern so unseren Kolleg*innen ihren Lohn, beharren aber in wichtigen Fällen auch auf einem Gerichtsurteil, um die Uni zu zwingen, grundlegende Verbesserungen für mehr Beschäftigte umzusetzen.“
Oben war bereits vom ambivalenten Erfolg bei der ThULB die Rede. Es ist immer ein Abwägen, ob der konkrete Vergleich akzeptiert werden soll, oder die gerichtliche Auseinandersetzung mit der Hoffnung auf strukturelle Verbesserungen an den Universitäten gesucht wird. Momentan hat die FAU Jena noch mehrere Verfahren hinsichtlich der Tarifflucht-Problematik zu führen. Eines dieser Verfahren wurde in erster Instanz vom Arbeitsgericht Gera zugunsten der FSU entschieden, ein weiteres bezüglich einer Eingruppierung soll am 21. 2. verhandelt werden. Das spornt die Bildungssektion an: „Hier zeigt sich, dass wir langen Atem beweisen und die Klagen bis auf die landes- oder sogar bundesgerichtliche Ebene treiben müssen.“ In den kommenden Auseinandersetzungen auf dem Campus, in der ThULB und vor Gericht wünschen wir der FAU Kraft und Durchhaltevermögen.
Anton Kramer und Anna Berg sind selbst nicht nur StuMis an der FSU, sondern auch in der Bildungssektion der FAU Jena aktiv.
1 Die Organisationgrad lag 2011 bundesweit bei mickrigen 4,9%, bei Thüringer studentischen Mitarbeiter*innen lag er überdurchschnittlich bei 7,4 %. (siehe Lenger et al., S. 37 f.) Insgesamt sind übrigens ca. 14% der Arbeiter*innen in der BRD in Gewerkschaften organisiert